Hessisches Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales

Vertrauliche Spurensicherung wird in Hessen zur Kassenleistung

Hessen setzt ein starkes Zeichen im Kampf gegen Gewalt an Frauen und anderen Betroffenen: Die Kosten für die vertrauliche Spurensicherung nach einer Gewalttat werden nunmehr von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Den entsprechenden Vertrag haben Sozialministerin Heike Hofmann und Gesundheitsministerin Diana Stolz am Dienstag im Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin in Frankfurt unterzeichnet. „Gemeinsam mit den gesetzlichen Kassen, der Rechtsmedizin in Gießen und Frankfurt sowie unter maßgeblicher Unterstützung der Hessischen Krankenhausgesellschaft ist es uns gelungen, die Leistung der vertraulichen Spurensicherung vertraglich zu regeln. Damit setzen wir einen Meilenstein bei der Unterstützung derer, die von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen sind“, sagte Ministerin Hofmann.

„Vergewaltigung und häusliche Gewalt gehören zu den tabubehafteten Themen in unserer Gesellschaft. Viele Betroffene, die Opfer eines sexuellen Übergriffs oder von häuslicher Gewalt wurden, vertrauen sich aufgrund von Scham und Schock oft niemandem an. Hilfe wird gar nicht oder zu spät in Anspruch genommen. Deshalb dürfen die Kosten einer vertraulichen Spurensicherung nicht auch noch eine Rolle spielen. Es ist für die Opfer ganz entscheidend, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten nunmehr übernehmen. Damit kann eine medizinische Untersuchung und Beweissicherung erfolgen. Ich danke daher allen voran den Krankenkassen, ohne die diese wichtige Unterstützung nicht möglich wäre, aber natürlich auch allen anderen Partnern“, fügte Gesundheitsministerin Stolz hinzu.

Ablauf des Vorgangs

„Mit der Vereinbarung wird ein niederschwelliger und unkomplizierter Zugang organisiert, bei dem die vertrauliche Spurensicherung direkt im Rahmen der medizinischen Untersuchung in einer beteiligten Einrichtung erfolgt. Betroffene müssen hier noch nicht entscheiden, ob sie rechtliche Schritte einleiten wollen, sondern können sich für die Entscheidungsfindung die Zeit nehmen, die sie brauchen, ohne dass Beweismittel verloren gehen. Die Anonymität der Versicherten spielt für die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) eine essentielle Rolle. Deshalb gibt es auch keine versichertenbezogenen Einzelabrechnungen. Die Vergütung der vertraulichen Spurensicherung durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgt anonym und kassenindividuell per Sammelrechnung“, erklärte Claudia Ackermann, Leiterin der hessischen Landesvertretung des Verbands der Ersatzkassen e. V., stellvertretend für die GKV.

Künftig wird es in Hessen für die vertrauliche Spurensicherung zwei durch die GKV finanzierte Fallpauschalen geben – eine, die Körperverletzungen abdeckt sowie eine weitere für Sexualdelikte. Für nicht beziehungsweise privat versicherte Personen wird das Land bis zur endgültigen Regelung die Finanzierung der Fallpauschalen übernehmen. „Das wir hier die Kosten tragen und dafür sorgen, dass das Angebot lückenlos von allen Betroffenen in Anspruch genommen werden kann, ist für uns zwingend – denn Gewalt fragt nicht nach dem Versichertenstatus“, so die Ministerinnen.

Zur vertraulichen Spurensicherung (nach § 27 und § 132k SGB V) gehören die Dokumentation von Verletzungen sowie die Sicherung von Tatspuren am Körper. Alle Befunde werden im jeweils zuständigen Institut für Rechtsmedizin aufbewahrt und können bei einer Anzeige durch die Betroffenen angefordert und in ein Strafverfahren eingebracht werden. So erhalten sie die Zeit, die nach einer solchen Tat häufig nötig ist, um zu entscheiden, ob sie die Ermittlungsbehörden einschalten möchten. Gleichzeitig haben sie aber Gewissheit, dass die Spuren gerichtsfest gesichert wurden. Denn die Dokumentation erlittener Verletzungen muss möglichst zeitnah nach einer Gewalttat erfolgen, damit wichtige Beweise nicht verloren gehen. 

„Das Ziel ist, für alle Opfer von Gewalt eine zeitnahe und gerichtsverwertbare Verletzungsdokumentation zu gewährleisten – unabhängig davon, ob sich diese bereits für eine Strafanzeige entschieden haben oder nicht. Auf dem Weg dahin hat das Land Hessen jetzt einen weiteren wichtigen Schritt genommen“, sagte Prof. Dr. Marcel Verhoff, der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Frankfurt. Sein Gießener Pendant Prof. Dr. Sven Hartwig betonte die Bedeutung, die das nun getroffene Abkommen auch für die Ausgestaltung der Versorgung habe: „Die vertraglich definierten und durch die Rechtsmedizin geprüften Anforderungen an die Ausstattung und Kompetenz der Partnerambulanzen und Kliniken verbessern die Qualität der Verletzungs- und Spurendokumentation. Das Konzept der Partnerkliniken erreicht auch Gewaltbetroffene in peripheren Regionen“, sagte der Gießener Institutsleiter.

Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen

Die Hessische Landesregierung engagiert sich seit über zwanzig Jahren für eine gewaltsensible medizinische Versorgung und dafür, die vertrauliche Spurensicherung als Säule der Gewaltprävention im Gesundheitswesen zu etablieren. Dadurch ist in Hessen in den vergangenen zehn Jahren ein Netz an Versorgungsangeboten zur vertraulichen Spurensicherung entstanden, auf das Gewaltbetroffene zurückgreifen können – etwa die durch das Land geförderte Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung und das Forensische Konsil Gießen.

„Wir haben Angebote geschaffen, die die Sicherheit und Selbstbestimmung Betroffener stärken und ermöglichen, Täter zur Verantwortung zu ziehen. Ich danke allen Beteiligten für ihr Engagement und die konstruktive Zusammenarbeit bei der Vertragsgestaltung zur vertraulichen Spurensicherung. Gemeinsam setzen wir ein deutliches Zeichen: Gewalt darf keinen Raum haben. Wir stehen an der Seite von Betroffenen, um ihnen die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie verdienen“, so Ministerin Hofmann.